Ist es möglich, einen potentiellen Mörder zu lieben? Diese Frage stellen zwei argentinische Ausnahmetalente moderner Literatur in ihrem packenden Kriminalroman “Der Hass der Liebenden“: Adolfo Bioy Casares und Silvina Ocampo. Ihr einziges gemeinsames Werk, bereits 1946 in Argentinien erschienen, erzählt von den Unterschieden zwischen Schein und Sein und der Macht des Zweifels. Ich habe das Buch in einem Rutsch gelesen, da ich nicht aufhören konnte….
Die Geschichte beginnt wie ein klassischer Agatha-Christie-Krimi: In einem abgelegenen Hotel an der argentinischen Atlantikküste versammelt sich eine bunt gemischte Gesellschaft: ein drogensüchtiger Arzt, ein rätselhafter kleiner Junge und zwei Schwestern, die den gleichen Mann lieben. Ein Mord geschieht. Kurz darauf bricht ein Sandsturm los, der das Hotel von der Außenwelt abschneidet. Eine drückende Atmosphäre des Misstrauens und der Bedrohung breitet sich aus. Phantasie und Wirklichkeit sind nun kaum noch voneinander zu unterscheiden. Auf dem Höhepunkt der Geschichte gipfeln die vielen Verdächtigungen zu einer Verfolgungsjagd durch die windgepeitschten Dünen…
Die beiden Autoren – auch im richtigen Leben ein Paar und 53 Jahre verheiratet (!) – spielen geschickt mit den Erwartungen des Lesers, der immer wieder gezwungen wird, seine Vermutungen zu revidieren. Sie beobachten, sezieren die Menschen mit einer Genauigkeit, wie ich sie selten gelesen habe. Ihr amüsanter und hintergründiger Krimi setzt sich dabei über die Regeln des Genres hinweg. Ein absolutes Muss auf dem diesjährigen Gabentisch für Krimiliebhaber, Krimiautoren aber auch für Leser, die nicht gerne Krimis lesen.
Das schmale Buch (nur 192 Seiten) liest sich schnell und hallt lange nach. Wie einfach es doch sein kann, einen guten Kriminalroman zu schreiben, dachte ich mir öfter beim Lesen und bekam richtig Lust, selbiges zu tun.
Titel: Der Hass der Liebenden
Die Autoren: Adolfo Bioy Casares und Silvina Ocampo
Verlag: Manesse Verlag
Preis: 18,95 Euro