Damit Kindern kein Flügel bricht

flügel kinderDas ist das Buch, dass alle Eltern, Lehrer sowieso und sonstige wichtigen Bezugspersonen von Kindern UNBEDINGT lesen sollten: Damit Kindern kein Flügel bricht” von Nelia Schmid König, eine Kinder- und Jugendpsychiaterin. Erschienen ist das wichtige Buch im renommierten Kösel Verlag.

Der Untertitel lautet: Kindliche Verhaltensauffälligkeiten verstehen und ein gutes Familienklima fördern. Bringt es auf den Punkt. Der Fisch stinkt ja meist vom Kopf her 😉 …

Als Eltern sollten wir uns permanent hinterfragen, sind das jetzt wirklich Ansprüche, denen mein Kind gerecht werden kann? Oder übertrage ich eigene Wünsche auf mein Kind, die ich früher nicht erreicht habe, nicht erreichen konnte mangels Möglichkeiten? Euer Kind ist ein eigenes individuelles Wesen, es ist nicht die Mutter oder der Vater. Es hat möglicherweise völlige andere Interessen … es ist einfach nicht die Eltern. Euer Kind hat ein Recht auf sein eigenes selbständiges Leben. Es darf seine Erfahrungen selber machen. Reflektiert euch regelmäßig selbst, eine reine Seele (Stichwort: Psychohygiene) bringt eine Familie weiter als das Vergleichen mit anderen Kinder (genetisch gar nicht möglich, vergleicht doch mal Äpfel mit Birnen ;-)), das Bewerten, Erwarten, der Leistungsdruck, tut das euren Kindern nicht an … Es ist ohnehin nur noch eine Frage der Zeit, bis es an den Grundschulen dieses Landes keine Noten mehr gibt, kreative Lehrkräfte, die nicht wie Fließbandarbeiter all diese Lehrpläne mit Volldampf durchboxen müssen und am Ende ihrer Laufbahn selbst so ausgezehrt sind, dass sie sich nur auf ihre oder die Couch eines Psychiaters legen können. Das kann es doch nicht sein.

Als Kind wollte ich immer Lehrerin werden, ist mir aber spätestens in der 5. Klasse vergangen. Meine Grundschulzeit war noch schön und verspielt, wir hatten fast nie Hausaufgaben auf und durften auch von Anfang gleich richtig schreiben ;-). Leider hatte ich insgesamt fünf Lehrer in der 1. Klasse. Meine erste Lehrerin wurde krank und kam nicht mehr, die zweite schlug mich und wurde der Schule verwiesen, die bzw. der dritte war der Sportlehrer, er übernahm die Klasse bis Nr. 4 kurz da war. Nr. 5 blieb mir erhalten bis zur 2. Klasse … Und noch immer weiß ich die Namen, weiß wie die Lehrer aussahen, wie ich mich gefühlt habe etc. Es ist eine prägende Zeit, deshalb sollten unsere Kinder wundervolle Erfahrungen in der Grundschule sammeln dürfen und nicht gleich vom Leistungsdruck verschluckt werden. Es sind Kinder und keine kleinen Erwachsenen. Kinderseelen liegen mir sehr am Herzen, es ist eine sehr verantwortungsvolle Sache, Kinder in die Welt zu setzen und sie zu liebenswerten, fairen und vor allen Dingen glücklichen und zufriedenen Menschen zu erziehen. Wenn ich manchmal sehe, wie lieblos und wie nebenbei manche Kinder in einer Familie heranwachsen, bricht mir das Herz. Es gibt doch nichts Schöneres, als Kinder zu haben.

So nun schweife ich schon wieder vom Buchthema ab. Wie gesagt, das Buch ist sehr interessant, sehr ergiebig, man bekommt neue Impulse und viel Verständnis – gerade für “verhaltensauffällige” Kinder … das Wort gefällt mir gar nicht … schon ist wieder eine Schublade auf. Jedes Kind das anders ist, ist eine Angriffsfläche für Kinder, die meinen, sie seien normal, weil sie in einem bewertenden und wir-sind-besser-Elternhaus groß werden – ja gibt es auch schon in der 2. Klasse … es ist nicht schön, das zu sehen … Zweitklässler, die eine 1 bekommen haben, machen sich über Kinder lustig, die eine 4 bekommen haben – hallo gehts noch? Und schadenfrohe Schubladen-Eltern, die das vor dem Kind kundtun, weil sie die Mutter oder den Vater des Vierer-Kindes nicht mögen. Kein Wunder, das deren Kinder dann andere Kinder hänseln … der ganz normale Wahnsinn … Wie gesagt: Die Gesellschaft von morgen …!!!

Fazit: Lest das Buch unbedingt, seid ihr selbst, stresst eure Kinder nicht und drückt ihnen nicht diesen Leistungsstempel in der Schule auf … was sind schon Noten? Zahlen, die von jemanden vorgegeben werden, um jemanden in Zahlen zu bewerten … ist doch Unfug … als würden die Lehrer eure Kinder kennen – niemand hat das Recht andere zu bewerten, wie soll man einen Menschen auch bewerten? Seid ihr im Job derselbe wie zu Hause? Wir schlüpfen doch täglich in die unterschiedlichsten Rollen – wie soll man jemanden genau kennen? Nicht mal wir selbst tun das – jedenfalls nicht alle … es wird besser, je älter und lebenserfahrerer wir werden 😉 … Wie viele unglaublich kreative und kluge Kinder werden durch die Benotung und ständige Bewertung und Überprüfung abgestempelt und verlieren irgendwann den Glauben, das Vertrauen in sich selbst … Seht hierzu weiter unten noch meinen weiteren Buchtipp zum Thema.

 

Vergesst nicht liebe Eltern, Großeltern und Lehrer:

Jedes Kind ist ein wundervolles und vollkommenes Wesen, wenn es geboren wird. Wir haben es in der Hand und wir sind in der Verantwortung, dieses vollkommene Wesen bedingungslos zu lieben, SO WIE ES IST! Und ja Kinder dürfen auch in der Schule kreativ sein, nur weil es so schwierig ist, Kreativität zu BEWERTEN, heißt es noch lange nicht dass es etwas schlechtes ist. Wie oft müssen sich Eltern in der Schule anhören, dass ihr Kind zu kreativ ist – hallo, kann man denn kreativ genug sein? Liebe Lehrer, seid mal realistisch: Kreativität ist meistens wichtiger als gute Noten. Habt ihr mal einen Einser-Kandidaten nach seiner Meinung – seiner eigenen Sicht auf die Dinge gefragt, oder was er gerne tut? Er wird das herunterleiern, was seine Eltern in solchen Situationen immer sagen oder was er im Spiegel gelesen hat, aber er wird möglicherweise (auch hier gibt es Ausnahmen, wir wollen ja hier nicht auch in Schubladen denken) nicht wissen was er meinen soll und möglicherweise auch nicht so genau wissen, was er gerne tut, weil man ihm das immer gesagt.

Deshalb ganz wichtig: Noten sind nicht alles. Niemand hat sich jemals so genau meine Noten angeschaut, wenn ich mich beworben habe, weil jeder Personalchef weiß, dass das Bewertungssystem hinten und vorne hakt. Es kommt auf die Persönlichkeit an, auf den ersten Eindruck, auf die Umgangsformen, auf das man selbst sein, auf Authentizität, wie man sich gibt, was man ausstrahlt, wie man kommuniziert, ob man einander in die Augen schauen kann und vieles mehr … Also vergesst das mit den Noten ganz schnell und setzt eure Kinder nicht unter Druck. Bis jetzt ist aus jedem etwas geworden … Dies gilt vor allen Dingen für die Grundschulzeit, denn dort wird der Grundstein gelegt, fürs weitere Lern-Leben … Zeigt euren Kindern kreative Möglichkeiten des Lernens, räumt ihnen ausreichend Zeit nach der Schule ein, KIND zu sein, denn das sind sie …

Wenn ich höre, dass eine Lehrkraft zu einer Mutter in der zweiten Klasse sagt, dass ihr Kind noch zu sehr Kind ist – dann frage ich mich doch: Hallo? Ist man mit sieben Jahren etwa kein Kind mehr? Das passt dann auch zur Erwartung mancher Eltern und Erzieher, dass Kinder schon mit einem Jahr selbstständig alles können müssen. Es ist ein Graus mancherorts was sich da abspielt. Ich sage nur, Eltern, bleibt stark, seid ihr selbst, liebt euer Kind, übernehmt die Verantwortung für euer Kind und seid immer ein liebevolles Nest in das eure Kinder gerne zurückkehren, wenn sie Halt brauchen. Hört auf euer Herz und nicht auf die Ratschläge fremder Leute, nur weil sie Lehramt, Pädagogik und Co. studiert haben. Ihr seid die Eltern, nicht die Gesellschaft, nicht der Staat etc. Tut was IHR für richtig haltet und haltet vor allen Dingen zu euren Kindern, denn das ist die GESELLSCHAFT VON MORGEN und die soll doch schön sein ;-).

Dazu noch ein persönlicher Buchtipp von mir:

Heidemarie Brosche: Warum es nicht so schlimm ist, in der Schule schlecht zu sein, erschienen im Goldmann Verlag.

Das schreibt der Kösel Verlag:

Kindliche Verhaltensauffälligkeiten sind oft Ausdruck familiärer Schwierigkeiten. Kinder reagieren damit auf ein Familienklima, das durch Sorgen um die Zukunft, Schulprobleme und gestresste Eltern negativ geprägt ist. Nelia Schmid König zeigt mit vielen ermutigenden Beispielen, wie in den Familien wieder Lebensfreude und Optimismus einziehen und Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung positiv unterstützt werden.

Eine neue Sicht auf Verhaltensauffälligkeiten
Beispiele für ein konstruktives Miteinander in der Familie
Mit Tipps für die Paarbeziehung

 

Über die Autorin:

Dr. Nelia Schmid König, geb. 1956, ist Kinder- und Jugendtherapeutin in eigener Praxis in München. Sie war viele Jahre in der Erwachsenenbildung und als Dozentin an einem psychoanalytischen Ausbildungsinstitut tätig. Die Mutter zweier Kinder arbeitet seit mehreren Jahren auch als Paar- und Familientherapeutin und als Supervisorin.

 

Leseprobe:

Leseprobe. Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Rechteinhaber. Alle Rechte vorbehalten.

Marvin, ein neunjähriger Junge, malt am liebsten Vögel in der Therapie. Adler, Raben, Bussarde, Schwäne. Marvin ist ein Vogelexperte. »Am liebsten wäre ich ein Adler, die fliegen ganz weit oben, keiner kann sie erreichen … Sie fliegen allen anderen davon.«
Seine Realität sieht anders aus – und seine gemalten Vögel auch. Sie haben gebrochene Flügel, alle. Zuerst habe ich die gebrochenen Flügel meinem Unvermögen zugeschrieben, Marvins Bilder richtig wahrnehmen zu können. Wir Erwachsenen wollen ja oft in der gemalten Welt unserer Kinder unsere eigene Erwachsenenrealität wiederfinden. Und ein Adler sieht nicht aus wie ein Schwan. Bei Marvin sieht der Adler aus wie ein Schwan, doch Marvin unterscheidet mit wissender Stimme: »Das ist ein Adler, das ist ein Schwan … das merkt man doch.« Ich hab es nicht gemerkt, doch vorsichtig geworden bei meinem Wunsch, die Dinge klar einzuordnen und zu benennen, halte ich mich bei Marvins Flügeln zurück. Auffällig ist nur, dass alle Flügel, ob Adler- oder Schwanflügel, in der Mitte abknicken. »Das sind ganz besondere Flügel …«, taste ich mich vorsichtig an seine Vogelbilder heran. Manchmal malt Marvin gleich mehrere Bilder in der Therapiestunde. »Ja, die kommen gerade von einem Kampf … sie waren aber stärker … sie fliegen jetzt davon.«
Wie kann man mit gebrochenen Flügeln fliegen? Es war nur ein Gedanke, ich hab ihn nicht ausgesprochen.
Ein halbes Jahr später sagt Marvin, und Tränen laufen über sein blasses, schönes Gesicht: »Der Papa hat gesagt, wenn du es nicht ins Gymnasium schaffst, kannst du es gleich vergessen … « Am Ende dieser Stunde malt er sein für lange Zeit letztes Vogelbild, einen roten Adler: »Hast du gemerkt, dass der kaputte Flügel hat?« Ich nicke: »Ja, er ist wunderschön, aber seine Flügel sind kaputt … ein trauriger Vogel.«
Marvin ist ein ganz normales Kind. Sensibel und begabt wie viele andere Kinder auch. Was ihn von anderen Kindern unterscheidet, sind seine Diagnosen. Er ist neun Jahre alt und hat schon drei Diagnosen, die wie Blei auf seinem noch jungen, erst begonnenen Lebensweg liegen. Die letzte ist erst kürzlich vor ihm aufgebaut worden. Seine Mutter sagte am Telefon: »Können Sie uns helfen? Wir haben einen Zappelphilipp zu Hause, die Ärzte wissen jetzt, was los ist mit ihm… «
Nach unserer ersten Begegnung habe ich als Erstes die Diagnosen beiseitegelegt. Marvin ist kein krankes Kind. Marvin ist ein unverstandenes Kind. Ein vitaler, entzückender Junge steht vor mir, mit einem für sein Alter sehr wachen Verstand und überdurchschnittlichen Ausdrucksvermögen. Ich beglückwünsche die Eltern zu ihrem begabten Kind. Die Reaktion der Eltern ist – Überraschung. »Wir hören immer nur Negatives über ihn … und Sie gratulieren uns zu diesem Kind!« Und Marvins Vater, ein in der rauen Welt der Wirtschaft geschulter Kämpfer, meint mit leicht sarkastischem Unterton: »Bis jetzt gab’s Diagnosen … jetzt plötzlich Glückwünsche … ist das eine neue Tour?«
Nein, das ist keine »neue Tour«. Es ist nach vielen Jahren Erfahrung als analytische Kinder- und Jugendlichentherapeutin der Versuch, die Augen der Eltern mit Hoffnung zu füllen und nicht mit weiterer Angstmacherei eine Eltern-Kind-Beziehung zu verstopfen. Dort, wo vorher Angst, Sorge und das lähmende Gefühl, als Eltern zu versagen, geherrscht haben, möchte ich bei den Eltern wieder Freude und Neugierde am Kind wecken.
Ein viel zu häufiger Mitbewohner in vielen Familien ist die Angst. Sie nistet sich ganz unauffällig im Laufe der Jahre ein und kann irgendwann ein Dreh- und Angelpunkt im Familienleben werden. Selten zeigt sie ihr Gesicht. Wen man klar erkennen kann, gegen den kann man kämpfen. Doch die Angst ist eine Meisterin der Maskierung. Sie bleibt diffus, entzieht sich jedem Zugriff, hüllt sich schnell wieder in ein anderes Kostüm, wenn ihr Entblößung droht.
Anfangs ist die Angst im jungen Paarglück nur ein graues, mickriges Pflänzchen: Was, wenn wir keine Kinder bekommen? Doch das Kind kommt. Unkraut vergeht. Dieses Pflänzchen ist also schnell wieder ausgerissen und stirbt ab. Doch das nächste lauert bereits: Was, wenn ich keine gute Mutter bin, was, wenn ich kleine, schreiende Kinder nur als nervig empfinde, endlich wieder einmal durchschlafen möchte? Was, so der Mann, wenn ich meine Frau wieder einmal ganz für mich haben möchte, sie ist ja nur noch Mutter … Wieder ein paar Jahre später, die erste soziale Schwellensituation: der Kindergarten. Kann sich unser Kind integrieren, findet es Freunde? Dann die erste große Belastung: die Einschulung.
Die Angst ist inzwischen kein mickriges Unkraut mehr, das man mit einer entschlossenen Handbewegung ausreißen kann, sondern eher ein Schlingpflanzengewächs, das durch die Familienräume wabert und sich im Wohnzimmer ebenso ausbreitet wie im Kinderzimmer, in der Küche. Manchmal bahnt sich dieses Schlingpflanzengewächs seinen Weg sogar schon ins Ehebett: »Du, Florian hat eine Mitteilung im Hausaufgabenheft stehen, dass er wieder keine Hausaufgaben gemacht hat …« Der Übertritt an eine weiterführende Schule steht bevor. Die Angst lächelt gemein. Sie wächst, legt an Gewicht zu, die anderen sichtbaren Familienmitglieder leiden mehr oder weniger unter Appetitverlust. Kein »Freude, schöner Götterfunken« mehr, solche erhebenden Wohlklänge klingen nur noch vereinzelt an, sondern Ärger und Stress mit den Götterjünglingen und -töchtern von einst. Auch der Göttergatte hat an charmanter Aufmerksamkeit schon lange eingebüßt.
Die Mutter spricht mit dem Vater, der Vater ermahnend mit dem Sohn oder der Tochter, wobei sich die Tochter die warnenden Worte des Vaters bedeutend mehr zu Herzen nimmt als der bockige Bruder. Die Angst kriegt in diesem Alter nicht so richtig Platz bei den Töchtern, denn diese sind gewillter, den elterlichen Ängsten durch schöne Schrift und regelmäßige Erledigung der Hausaufgaben vorzubeugen als die gleichaltrigen Jungen. Die Jungen bewegt mit neun oder zehn Jahren nicht so sehr das Ergebnis des letzten Aufsatzes, sondern die Zeit, die sie für 50 Meter gebraucht haben im Sport. Und ob sie ein Alphatier sind im Klassenverband oder als Angsthase gelten.
Die Zeit vergeht. Es ist eine Ewigkeit her, dass Mutter und Vater zusammen, nur sie allein, essen waren, sich für einen Kinofilm begeistert haben, im Bett gestöhnt haben vor Lust, nicht vor Sorge. Die Angst lächelt wieder. Sie hat alles im Griff, sogar die Blicke der Eltern.

Buchinformationen:

 

  • Gebundene Ausgabe: 272 Seiten
  • Verlag: Kösel-Verlag; Auflage: 3
  • Preis: 16,95 Euro
  • ISBN-13: 978-3466308521